Amelunxen über Hindenburg

In seinen Lebenserinnerungen „Ehrenmänner und Hexenmeister. Erlebnisse und Betrachtungen“, die 1960 erschienen, setzt sich der Zentrumspolitikers Rudolf Amelunxen (1888 - 1969) kritisch mit der historischen Rolle Hindenburgs in der Weimarer Republik auseinander. Amelunxen war von 1926 bis 1932 Regierungspräsident in Münster, 1945/46 der letzte Oberpräsident von Westfalen mit Sitz in Münster. 1946/47 war er der erste Ministerpräsident des neuen Landes Nordrhein-Westfalen und von 1947 bis 1958 Sozial- bzw. Justizminister von NRW. Anbei einige Auszüge aus seinen Lebenserinnerungen:

„Man stritt erbittert über die Schuld am Zusammenbruch und über den von der Nationalversammlung in Weimar angenommenen und Ende Juni [1919] von uns in Versailles unterzeichneten Friedensvertrag.
Der alte Hindenburg, der seinen Generalsrock zum zweiten Mal mit seinem alten Gehrock vertauscht hatte, war im November des Jahres 1919 vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin - der die Ursache der Novemberkatastrophe ermitteln sollte - als geladener Zeuge aufgetreten. Er hatte die Abgeordneten wie Stiefelputzer behandelt. In einer schriftlich fixierten, seinem eigenen Kopf nicht entsprungenen Deklaration hatte er feierlich, der Wahrheit zuwider, bezeugt, die Heimat habe die Front treulos im Stich gelassen, die deutsche Armee sei von hinten erdolcht worden. Damit hatte er sich in unverantwortlicher Weise auf den Boden der von reaktionären Kreisen erfundenen Dolchstoßlegende gestellt, deren eifrigster Propagandist Ludendorff war, der ebenso wie Hindenburg geschlagene General.
Diese Erklärung Hindenburgs war, wie die Geschichtsschreiber inzwischen festgestellt haben, der Dolchstoß in den Rücken des neuen Reichs. Ohne ihn wäre der spätere Tyrann [gemeint: Hitler] bei seinen Rattenfängerkünsten wohl kaum so erfolgreich gewesen. Die Berliner Rechtspresse brachte am laufenden Band giftgeschwollene Artikel, in denen die sogenannten Novemberverbrecher - die die an sich fällige echte Revolution verhindert hatten - in gemeinster Weise beschimpft wurden als Abschaum, als Pack, Charakterlumpen und Gesindel, das die alleinige Schuld an dem traurigen Ausgang des Krieges zu tragen habe. Viele Menschen, selbst Universitätsprofessoren, fielen auf die politischen Lügen und Hasstiraden herein.
Knapp zwei Jahre nach jener Hindenburgerklärung wurde der Demokrat Matthias Erzberger erschossen. … Der hatte im November des Jahres 1918 auf Verlangen der Obersten Heeresleitung den Waffenstillstand abschließen müssen, während es eigentlich Aufgabe des Marschalls Hindenburg gewesen wäre, sich zum Marschall Foch in den Wald von Compiègne zu begeben. ….Die Mörder Erzbergers … wurden später in der Nazizeit als Nationalhelden gefeiert. In mehreren Städten wurden Straßen nach ihnen benannt. … Im folgenden Jahre, 1922, wurde der als Erfüllungspolitiker verfemte Reichsaußenminister Walther Rathenau rücklings, feige erschossen. … Rathenau hatte sich mit all seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten bemüht, die Isolierung Deutschland zu überwinden.“

(Aus: Rudolf Amelunxen, Ehrenmänner und Hexenmeister. Erlebnisse und Betrachtungen, München 1960, S. 70-72)

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