Hindenburg und Hitler

Auszüge aus der Hindenburg-Biographie von
Wolfram Pyta: “Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler”,
Siedler-Verlag München 2007.

Ausgewählt und zusammengestellt von Dr. Johannes Schwarte:

  • Ernennung Hitlers zum Reichskanzler: “Niemand hat Hindenburg in diese Entscheidung hineingeredet; Einflüsterungen und Einflussnahmen haben nicht den Ausschlag gegeben bei dieser Aktion, die der Reichspräsident allein zu verantworten hatte und die er vor allen Dingen auch allein durchführen wollte. Hindenburg besaß ein starkes herrschaftliches Selbstverständnis, mit dem es sich nicht vereinbaren ließ, ausgerechnet die Entscheidung über die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und damit eine politische Weichenstellung von größter Tragweite aus der Hand zu geben. Dass Hitler ihm von dritter Seite eingeredet wurde, wird zwar hier und da immer noch behauptet, entbehrt aber jeder quellenmäßig verbürgten Grundlage” (S. 791).
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  • Zum persönlichen Verhältnis Hindenburgs zu Hitler: “Eine nüchterne Bestandsaufnahme der Situation Anfang Februar 1933 macht deutlich, wie sehr sich die Interessen Hindenburgs und Hitlers annäherten. Bereits zu dieser Zeit schälten sich Strukturen einer symbiotisch zu nennenden Beziehung zwischen beiden heraus…” (S. 805).
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  • Hindenburgs Verhältnis zur Notverordnungspraxis: “Wenn Hindenburg in der Folgezeit noch Notverordnungen unterzeichnete, dann nur, um der Regierung neue Machtmittel an die Hand zu geben, die es ihr gestatteten, eine von der Präsidialgewalt unabhängige Basis aufzubauen. Am 4. Februar 1933 erließ er die ‘Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deutschen Volkes’, die massive Eingriffe in Presse- und Versammlungsfreiheit ermöglichte und damit die Betätigungsmöglichkeit der Oppositionsparteien einschränkte… – Hindenburg machte kein Hehl daraus, dass er das am 30. Januar 1933 begonnene Werk konsequent zu Ende führen und dem neuen Reichskanzler alle erforderlichen Instrumente zur Verfügung stellen wollte. Alle Versuche, seine ursprünglichen Bedenken gegen eine Reichskanzlerschaft Hitlers wiederzubeleben, prallten an einer Mauer ab” (S. 810).
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  • Hindenburgs Reaktion auf kritische Einwände: “Der Reichspräsident wies nicht nur alle Vorwürfe gegen die diktatorischen Neigungen Hitlers – im Kern dieselben Bedenken, die er einst selbst gehegt hatte – als ‘Unterstellung’ zurück, sondern solidarisierte sich eindeutig mit seinem Reichskanzler: Er habe ‘Herrn Hitler – nach anfänglichem Zögern – als einen Mann von ehrlichstem nationalen Wollen kennengelernt und sei nun froh, dass der Führer dieser großen Bewegung mit ihm und anderen Gruppen der Rechten zusammenarbeite’ (so Hindenburg in einer Unterredung mit Fritz Schäffer, dem Vorsitzenden der BVP, am 17. Februar 1933). Hindenburgs Denken stand so sehr unter dem Eindruck der am 30. Januar 1933 zustande gebrachten nationalen Einigung, dass er alle Einwände gegen die Regierungspolitik als kleinliche Bedenken derer abtat, die nicht erfasst hatten, welch großes Werk derzeit auf dem besten Weg der Vollendung sei” (S. 811).
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  • Hindenburgs Erwartung an die Reichstagswahl vom 5. März 1933: “Hindenburgs Erwartung war Ende Februar 1933 ganz auf die am 5. März stattfindende Reichstagswahl gerichtet; denn diese sollte eine plebiszitäre Bestätigung des von ihm eingeschlagenen Kurses erbringen” (813) – “Der Reichspräsident erhoffte sich von dieser Wahl eine klare Mehrheit für die Parteien, welche die Regierung trugen. Denn dann konnte der Weg für ein Ermächtigungsgesetz und damit die legale Abschaffung des Parlamentarismus geebnet werden. Der Wahl sah er mit einem gewissen Bangen entgegen, weil nicht nur die Politik der Regierung Hitler, sondern auch seine Grundsatzentscheidung vom 30. Januar dem Wähler unterbreitet wurde. Besorgt fragte er seinen Kanzler: ‘Was machen wir nur, wenn Sie die Mehrheit nicht bekommen, dann haben wir wieder die alte Geschichte!’” (S. 816).
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  • Aufwertung Hitlers in den Augen Hindenburgs nach dem “Tag von Potsdam”: “Der ‘Tag von Potsdam’ markierte den endgültigen Durchbruch im persönlichen Verhältnis Hindenburgs zu seinem neuen Reichskanzler. Der 30. Januar 1933 war für Hindenburg noch ein politisches Experiment gewesen, bei dem er sich auf Hitler mit der Maßgabe eingelassen hatte, notfalls seine präsidialen Befugnisse zu aktivieren und den Reichskanzler in die Schranken zu weisen, falls dieser sich als engstirniger Parteipolitiker aufführte. Er hatte jedoch keinen Anlass, aus seiner Reserve herauszutreten, weil sein neuer Reichskanzler sich aus seiner Sicht als optimale Besetzung für die Leitung einer Regierung der ‘nationalen Konzentration’ erwies und nichts anderes zu tun schien, als Hindenburgs Lebensziel in die Tat umzusetzen und diesen von der Bürde des Reichspräsidentenamtes zu entlasten. Drei Tage nach den denkwürdigen Stunden von Potsdam teilte Hindenburg Hamburgs Bürgermeister Krogmann in aller Offenheit mit, ‘dass er den Herrn Reichskanzler erst nach seiner Ernennung voll kennen und schätzen gelernt habe und dass er, wie allgemein bekannt sei, ursprünglich gewisse Bedenken gehabt habe, da der Herr Reichskanzler damals die alleinige Macht gefordert habe. Er erkenne aber heute die großen Gaben und Fähigkeiten des Herrn Reichskanzlers unbedingt an’” (S. 825).
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  • Freiwilliger Verzicht Hindenburg auf seine präsidialen Befugnisse beim Zustandekommen des Ermächtigungsgesetzes: “Vergeblich bemühten sich Hugenberg und Papen, die Präsidialgewalt dafür zu interessieren, dass das Ermächtigungsgesetz in seiner vorgesehenen Form den Reichspräsidenten seines bisherigen Einflusses beraubte, und fragten an, ob nicht der Reichspräsident in irgendeiner Weise bei dem Zustandekommen der Gesetze mitwirken wolle, welche die Reichsregierung fortan ohne Mitwirkung des Parlaments erlassen könne. Doch sie wurden von Meißner, der im Auftrag Hindenburgs die Kabinettssitzungen aufmerksam verfolgte, beschieden, ‘dass die Mitwirkung des Reichpräsidenten nicht erforderlich sei. Der Herr Reichspräsident werde die Mitwirkung auch nicht verlangen’. Hindenburg war erleichtert, dass er fortan die Gesetze nicht mehr ausfertigen musste” (S. 825).
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  • Hitler steigt zunehmend im Ansehen bei Hindenburg. Dieser lobt die Abschaffung der Parteien: “Hitler nutzte die ungeteilte Aufmerksamkeit Hindenburgs und spielte seine politischen Stärken aus; und Hindenburg gewann zunehmend Gefallen an diesem Kanzler, der das zu verwirklichen schien, was keiner vor ihm geschafft hatte: die nationale Einigung. Dass im Verlaufe des Sommers 1933 alle Parteien bis auf die NSDAP von der politischen Bildfläche verschwanden und Hitler die nationale Sammlung weit über den Kreis der vormaligen Anhänger der NSDAP hinaus gelang, stellte diesem aus Sicht des Reichspräsidenten ein glänzendes Zeugnis aus: ‘Es war ja immer meine Meinung, dass das Heil für Deutschland nur im Zusammenschluss aller Parteien zu einer gemeinsamen Vaterlandspartei liege. Das ist Hitler nun gelungen’. Er ließ sogar fürsorgliche Gefühle für Hitler erkennen, den er als ‘meinen lieben Kanzler’ zu titulieren pflegte” (S. 832).
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  • Folgen körperlichen und geistigen Verfalls? Zu Hindenburgs Gesundheitszustand: “Hindenburgs gesundheitliche Verfassung war im Oktober 1933 noch so gut, dass er etwa anderthalb Stunden in disziplinierter und aufrechter Haltung den Vorbeimarsch einer Einheit zum Abschluss des Manövers abnehmen konnte…. Hindenburgs Physis war abgesehen von einigen alterbedingten Beeinträchtigungen durchaus intakt… Die altersbedingten Beschwerden schränkten ihn jedoch bis zum Sommer in der Ausübung seines Amtes kaum ein, zumal seine geistige Frische bis kurz vor dem Tod ungetrübt war. Bei gesellschaftlichen Terminen war er bis zum Frühjahr 1934 in gewohnter Weise präsent” (S. 835).
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  • Hindenburgs Reaktion auf die Mordserie am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934, “Niederschlagung des Röhm-Putsches” genannt: “Hitler konnte einen solchen Schritt nur wagen, weil er sich der Rückendeckung Hindenburgs gewiss war. Der Reichspräsident hatte ihm seit dem Sommer 1933 immer wieder versichert, wie gut er die Vollendung seines politischen Lebenswerkes – die Errichtung eines machtvollen Deutschland auf der Basis einer geeinten Nation – bei seinem Kanzler aufgehoben wusste. Am 30. Januar 1934, dem Jahrestag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, hatte Hindenburg diesen harmonischen Gleichklang in einem Handschreiben an Hitler in folgende Worte gekleidet: ‘Ich vertraue auf Sie und Ihre Mitarbeiter, dass Sie das so tatkräftig begonnene große Werk des deutschen Wiederaufbaues auf der Grundlage der nun glücklich erreichten nationalen Einheit des deutschen Volks im kommenden Jahr erfolgreich fortsetzen und mit Gottes Hilfe vollenden werden!’ Hitler konnte also von der nachträglichen Billigung des Reichspräsidenten für alle politischen Aktionen ausgehen, die auf dieser gemeinsamen Linie lagen – und dazu zählte in jedem Fall die Ausschaltung der SA, zu der dieser ihn geradezu drängte” (S. 848). “Als der Reichskanzler ihn am 3. Juli (1934) in Neudeck zur Berichterstattung aufsuchte, zeigte er sich mit dessen Vorgehen gegen die SA-Führung rundherum einverstanden: ‘Das ist richtig so, ohne Blutvergießen geht es nicht’” (S. 849). – “Gleichzeitig ging von Neudeck ein Glückwunschtelegramm an den Reichskanzler, das Hitlers Vorgehen vor der Weltöffentlichkeit rechtfertigte: ‘Sie haben das deutsche Volk vor einer schweren Gefahr gerettet’” (S. 850).
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      Über Wolfram Pytas Buch “Hindenburg” gibt es daneben eine lesenswerte Rezension:

      Deutschlandradio Kultur: Demontage eines Deutschen, rezensiert von Peter Merseburger

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